Simon M. Ingold bringt es auf den Punkt, wenn er meint, unsere Generationen befänden sich auf Kollisionskurs. Der NZZ-Autor war überrascht über die Hassbotschaften zu seinem Artikel [1], in dem er Wege zu einer Überbrückung der Generationenkluft zu ergründen suchte.
Unser Vorsorgesystem ist seit längerem marode. Die Alten leben auf Kosten der Jungen. Die Corona-Krise, bei der die Jugend überproportional abgestraft wurde, hat zusätzlichen Sand in den Generationenvertrag gestreut. Es steht nicht gut um das intergenerative Zusammenleben. Wir brauchen aber ein konstruktives Miteinander zwischen Generationen, um unseren Wohlstand und unsere Sicherheit langfristig zu erhalten. Was können wir tun, um die zunehmende Kluft zwischen Jung und Alt zu verringern?
Drei Einflugschneisen sind möglich:
- Staatliche Einflussmöglichkeiten
- Unternehmerische Chancen
- Persönliche Mutmacher
1. Staatliche Einflussmöglichkeiten
In einer älter werdenden Gesellschaft sind starre Pensionierungssysteme Unsinn. Wer seine Bevölkerung für mündig hält, was die Basisannahme in unserer Demokratie ist, sollte ihr zugestehen, dass sie ihren Lebensentwurf auch über die Pension hinaus individualisieren kann.
Die Erfahrung zeigt, dass mehr als ein Drittel der Pensionäre weiterarbeitet, Tendenz steigend. Sie tun dies nicht allein aus finanziellen Gründen, sondern weil Menschen durchaus Freude haben, eine sinnvolle Aufgabe wahrzunehmen, wenn man sie denn lässt. Diese Erkenntnis geht an der politischen Diskussion vollkommen vorbei.
Anstelle sich weiterhin in Endlosdiskussionen über die Heraufsetzung des Rentenalters oder einer Neufinanzierung der Renten zu verlieren, wäre es sinnvoller:
- das Pensionsalter zu flexibilisieren
- und zeitnah einen Einheitssatz für die zweite Säule festzulegen, sodass man nicht mit steigendem Alter stets mehr Beiträge einzuzahlen hat, was sowohl gesellschaftspolitisch als auch wirtschaftlich grossen Schaden anrichtet.
- Ferner müssen wir das Umlageprinzip abschaffen für diejenigen, die neu in den Arbeitsmarkt eintreten, sodass jeder nur mehr für seine eigene Pension spart. So entsteht für niemanden ein Schaden. Die zwischenzeitlich auftretende Finanzierungslücke der ins Rentenalter eintretenden Pensionäre wäre mit einer vorübergehenden Erhöhung der Mehrwertsteuer – die im internationalen Vergleich ja sehr tief ist – zu finanzieren.
So wäre das Thema ein- für allemal gelöst und ein grosses Politikum vom Tisch.
2. Unternehmerische Chancen
Die mit dem Alter exponentiell steigenden Sozialabgaben bieten Unternehmen kaum Anreize, ältere Mitarbeitende möglichst lange in der Arbeit zu halten bzw. einzustellen. Mit einem Einheitssatz liesse sich dieses Manko beheben. Allerdings ist gar nicht notwendig, auf staatliche Lösungen warten zu wollen.
Jede Firma kann heute schon innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen aus eigener Kraft Schritte zu einem neuen Gesellschaftsvertrag gehen. Als sinnvoll und vollkommen kostenfrei zeigen sich etwa folgende Modelle:
- Bogenkarrieren, bei der man ab einem gewissen Alter ohne Statusverlust aber durchaus mit entsprechenden Einkommenseinbussen in Teilzeit gehen kann, ohne gleich die Firma verlassen zu müssen.
- Die Ermöglichung und Förderung von Portfolios, also mehreren Standbeinen innerhalb und ausserhalb der Unternehmung, für Mitarbeitende, die dies möchten – aber aufgrund der starren Karrierewege in der Organisation nie in Betracht gezogen haben.
- Das bewusste Schaffen von intergenerativen Tandems in Projekten, um die Stärken unterschiedlicher Generationen zu nutzen und das gegenseitige Verständnis zu stärken.
3. Persönliche Mutmacher
„Zahlenmässige Überlegenheit sollte mit Verantwortung einhergehen.“ meint Simon M. Ingold in seinem Artikel. Es ist unsere Verantwortung – also diejenige der Menschen in der zweiten Lebenshälfte – auf die junge Generation zuzugehen.
Die meisten Menschen pflegen Freundschaften im Wesentlichen innerhalb der eigenen Alterskohorte. Junge finden kaum Berührungspunkte zu Alten und umgekehrt. Dass so kaum Austausch zwischen den Generationen erfolgt, liegt auf der Hand.
Da nützt auch der Besuch bei der Oma im Altersheim wenig. Wir leben in einer aktiven Zivilgesellschaft. Lasst sie uns nutzen! Ein substanzieller Teil der Menschen ab 50 betätigt sich aktiv in Freiwilligenarbeit. Die junge Generation kennt diese Art der Verantwortungsübernahme weit weniger. Wie wäre es, wenn:
- Wir bewusst jüngere Menschen für zivilgesellschaftliche Projekte gewinnen,
- ihnen dadurch Verantwortung übertrügen und
- sie dadurch für ihren eigenen Lebensparcours stärken würden?
Junge Menschen sind begeisterungsfähig. Sie nehmen Unterstützung sehr wohl an, die ihnen dabei hilft, in der Multioptionsgesellschaft den Überblick zu behalten und Sinn und Zugehörigkeit zu erfahren. Wir können nicht erwarten, dass die junge Generation die Werte der Alten lebt.
Aber wir können das Unsere dafür tun, um die Kluft zwischen den Generationen nicht noch grösser werden zu lassen, indem wir eigene Wege hin zu einem neuen Gesellschaftsvertrag zu gehen beginnen.
[1] An den Jungen gefällt uns besonders, was die Alten sowieso haben. NZZ vom 20. April 2021. S.
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